
Häuser, die in der Jahresbilanz mehr Energie gewinnen als sie selbst und ihre Bewohner verbrauchen, sind keine Zukunftsmusik mehr, sondern bereits Realität.
Häuser im „Effizienzhaus-Plus“-Standard – wie es offiziell heißt – sind ein Baustein der nationalen Energiewende, mit dem die Politik zwei Problemfeldern zu Leibe rücken will: dem uneffizienten Gebäudesektor und dem Verkehr. Beide sind jeweils zur Hälfte für 60 Prozent des gesamten deutschen Energieverbrauchs verantwortlich. Würden Gebäude sich selbst mit erneuerbaren Energien versorgen können und dazu noch einen kleinen Überschuss produzieren, könnte man mit dem Plus die Elektromobilität fördern und die Emissionen im Verkehrssektor langfristig senken, so die Überlegungen. Und die Politik macht ernst: Ab 2016 sollen neu gebaute Häuser nicht mehr Energie verbrauchen dürfen als sie selbst durch erneuerbare Quellen erzeugen können. Das fordert die seit Mai dieses Jahres gültige Energieeinsparverordnung (EnEV) 2014. Da ist es bis zum Überschuss nicht mehr so weit.

Grundregeln effizienten Bauens
Bereits 1994 hat der Freiburger Solararchitekt Rolf Disch ein solches Wohnkraftwerk geplant und errichtet: Einen drehbaren Zylinder auf einer Säule, der mit Regenwassernutzung, solarer Strom- und Wärmeerzeugung nach wie vor in der Öko-Oberliga spielt. Disch hat damit auch die technischen Voraussetzungen festgeschrieben, die dieser hohe Standard erfordert. Sie beginnen bei einem absolut erstklassigen Wärmeschutz. Dämmung und Abdichtung auf dem Niveau von Passivhäusern sind ein Muss. Eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung sorgt dafür, dass gute Luftqualität im Inneren nicht mit Lüftungswärmeverlusten erkauft wird. Große Fensterflächen bringen passive solare Gewinne und können an sonnigen Wintertagen die Heizung überflüssig machen. Um den Haushaltsstromverbrauch von den üblichen 4.000 Kilowattstunden auf die Hälfte zu senken, wählt man die effizientesten Hausgeräte, möglichst aus der Klasse A+++. Und für die Beleuchtung LEDs. Seinen Lebensunterhalt verdienen aber soll das Gebäude mit aktiver Solarenergienutzung: mit Photovoltaikmodulen und den Kollektoren einer thermischen Solaranlage. Wo nahezu das ganze Süddach Photovoltaik trägt, können – abhängig von der Lage – jährlich 12.000 Kilowattstunden und mehr an Sonnenstrom zusammenkommen.

Selbstversorger in Sachen Strom
Als es für privat produzierten Sonnenstrom noch gutes Geld für jede Kilowattstunde vom Netzbetreiber gab, konnte man sich rasche Amortisation ausrechnen. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Daher heißt heute die Devise: möglichst viel Sonnenstrom selbst verbrauchen. Smarte Elektronik hilft, den Grad der Selbstversorgung zu steigern. Der automatische Energiemanager weiß von allen Geräten, wie viel Strom sie ziehen, schaltet zum Beispiel Waschmaschine oder Trockner zu Zeiten hohen Ertrags ein. Gerade nicht benötigte Geräte trennt er vom Netz und vermeidet so Standby-Verluste. Bevor etwas von der Solarproduktion nach draußen geht, wird zuerst der Akku gefüllt. So ein Hausspeicher verlängert den Bezug von Sonnenstrom bis weit nach Sonnenuntergang. Die besten Systeme können nach Herstellerangaben den Eigenverbrauch auf 70 bis 80 Prozent treiben. Andreas Viehbrock vom Unternehmen Viebrockhaus warnt in diesem Zusammenhang vor vermeintlich günstiger Hardware aus Fernost. Er setze mittlerweile auf Speicher und Solarmodule aus heimischen Werken. Und spielt geschickt mit den Horrorvorstellungen eines jeden Fußballfans: der Akku sei ja auch Notstromaggregat, mit dem sich im Fall eines Blackouts das WM-Endspiel bis zum Schluss verfolgen ließe.
Strom zu Wärme machen?
Ein weiteres Mittel zur Erhöhung des Eigenverbrauchs ist der Einsatz einer Wärmepumpe. Sie soll den Strom, die weder die übrige Haustechnik noch der Akku abnehmen können, in Wärme umwandeln und diese im Warmwasserspeicher zwischenlagern. Keine gute Idee, halten Kritiker dagegen. Insbesondere die bevorzugt installierten Außenluft-Wärmepumpen könnten nur geringfügig von der Photovoltaikanlage profitieren, verbrauchten dafür im Winter reichlich Netzstrom, der überwiegend aus Kohle- und Atomkraftwerken stamme. So werde die Energiewende verhindert. Das zeige nicht zuletzt ausgerechnet das Leuchtturmprojekt des Bundesbauministeriums, das Effizienzhaus-Plus in Berlin, dessen Verbrauch bisher über und dessen Solarernte deutlich unter den Erwartungen lägen. Ein anderer konzeptioneller Ansatz liegt darin, die Wärmeversorgung mithilfe großflächiger Kollektorfelder und extragroßer Saisonalspeicher ebenfalls der Sonne zu überlassen und den Restbedarf mit CO2-neutraler Holzfeuerung zu decken („Sonnenhaus-Konzept“). So wie ja auch das zylinderförmige Disch-Haus mehrere Energiequellen und Techniken nutzt.

Mobilität durch Solarstrom
Das Effizienzhaus-Plus in Berlin ist wie viele Energieplus-Projekte zugleich Ladestation für Elektroautos und Elektrofahrräder. Noch wird das E-Mobil wegen seiner geringen Reichweite belächelt, obwohl der Fahralltag der meisten Bürger fast nur aus Kurzstrecken besteht, weit unter den 100 oder 150 Kilometern, die derzeit die Stromautos mit einer „Tankfüllung“ schaffen. Und vielleicht haben sie doch irgendwann das Zeug zum Statussymbol, eine Stellung, welche Benzinkutschen offenbar immer mehr verlieren.
Weitere Infos
Aufgepasst!
Gemäß der Definition des Bundesbauministeriums muss die Jahres-Energieproduktion eines Plusenergie-Gebäudes den gesamten Bedarf von Heizung, Warmwasserbereitung, Lüftung, Klimatisierung, Beleuchtung und allen Haushaltsgeräten übersteigen. Und zwar sowohl den Jahres-Endenergiebedarf als auch den Jahres-Primärenergiebedarf. „Endenergie“ ist diejenige, die vom Haus und seinen Bewohnern bezogen wird, in Form von Holzpellets, Heizöl, Erdgas oder Strom. Je nach Herkunft der Endenergie steckt allerdings in ihr mal weniger, mal sehr viel mehr „Primärenergie“, also Energie aus Kohle, Erdöl, Erdgas und Uran, zuzüglich der bei der Gewinnung, der Aufbereitung und dem Transport entstehenden, oft recht happigen Verluste. So sind in einer Kilowattstunde Strom aus dem Kohlekraftwerk, die als Endenergie ins Haus gelangt, bis zu drei Kilowattstunden Primärenergie enthalten, in einer Kilowattstunde Wärme aus Holz etwa 0,2 Kilowattstunden – und in einer Kilowattstunde Solarstrom oder Solarwärme: so gut wie keine.
So funktioniert’s:
Für Planung von Neubauten, gleich ob Standard-, Effizienz- oder Effizienz-Plus-Häuser, gibt die Energieeinsparverordnung (EnEV) ein standardisiertes Berechnungsverfahren vor, bei dem Energiebedarf und -gewinne wie in einer Bilanz gegeneinander aufgerechnet werden. Könnte man in der hier gezeigten Nutzungs-Energiebilanz eines modernisierten Altbaus den größten Bedarfsposten „Heizwärme“ durch eine noch effizientere Gebäudehülle verringern, würde das Haus bereits einen Energie-Überschuss erwirtschaften. Den gleichen Effekt hätte eine Steigerung der rechts dargestellten regenerativen Gewinne aus Sonneneinstrahlung und Umweltwärme, zum Beispiel durch eine höhere Leistung der Photovoltaikanlage. Ziel einer nachhaltigen Nutzungsplanung sollte allerdings sein, die Bedarfsseite so gering wie möglich zu halten.
Infotipp

ISBN: 978-3-421-03891-3
Das Buch „Energieplushäuser – Nachhaltiges Bauen für die Zukunft“ widmet sich der Frage: Was macht ein Energieplushaus aus? 20 Projektbeispiele – Einfamilienhäuser und kleine gewerbliche Bauten, Neubauten und ener- getische Sanierungen – werden ausführlich in Text und Bild beschrieben, wesentliche Bau- und Energiedaten sowie die Baukosten genannt. Interviews vertiefen und ergänzen die Ausführungen zu den politischen und gesellschaftlichen Aspekten, den technisch-bauphysikalischen Grundlagen und den wesentlichen Entwurfskomponenten.