Plusenergie-Häuser: Die Zukunft des Neubaus.

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Plusenergiehäuser
Foto: FingerHaus

Seit Menschengedenken verbrauchen Häuser Energie – bis heute. Die neue Generation von Häusern produziert Energie im Überfluss – gratis und vollkommen umweltfreundlich.

Die sogenannten Plusenergie-Häuser sind ein Baustein der nationalen Energiewende. Sie sollen nach dem Willen der Politik gleich zwei Problemfeldern zu Leibe rücken: dem uneffizienten Gebäudesektor und dem Verkehr. Beide sind jeweils zur Hälfte für 60 Prozent des gesamten deutschen Energieverbrauchs verantwortlich. Würden Gebäude sich selbst mit erneuerbaren Energien versorgen können und dazu noch einen kleinen Überschuss produzieren, könnte man mit dem Plus die Elektromobilität fördern und die Emissionen im Verkehrssektor langfristig senken, so die Überlegungen. Ein Elektroauto mittlerer Leistung verbraucht auf 100 Kilometern etwa 17 Kilowattstunden (kWh) Strom. Ist das Plusenergie-Haus auf einen jährlichen Stromüberschuss von beispielsweise 3.000 kWh ausgelegt, würde das für eine Fahrleistung von mehr als 17.000 Kilometern ausreichen.

Neben der Photovoltaikanlage kann in windreichen Gegenden ein Kleinwindrad die Energiebilanz aufbessern. Baufritz
Neben der Photovoltaikanlage kann in windreichen Gegenden ein Kleinwindrad die Energiebilanz aufbessern. Foto: Baufritz

Wissenschaftlich begleitet

Mit dem Ziel, Plusenergie-Konzepte wirtschaftlicher und damit praxistauglich zu machen, hat das BMUB, das „Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit“ in den vergangenen Jahren mit der Forschungsinitiative „Zukunft Bau“ verschiedene wissenschaftlich begleitete Modellprojekte im Effizienzhaus-Plus-Standard gefördert. Eines der Forschungsprojekte ist das von Werner Sobek entworfene „BMUB-Effizienzhaus Plus“ in Berlin, das seit einigen Jahren unter Praxisbedingungen getestet wird. Nachdem die erste Testphase mit großem Medienecho abgeschlossen werden konnte, wird es seit Mai 2014 von einer zweiten Familie bewohnt und erprobt. Die Initiatoren des öffentlichen Experiments sind mit dem Zwischenergebnis zufrieden: ein Einfamilienhaus kann im Jahresmittel mehr Energie erzeugen, als seine Bewohner verbrauchen. Auch in den Musterhauszentren der Fertighaushersteller stellen die Aussteller reges Interesse an der Plusenergie-Idee fest. Gemäß der offiziellen Definition des BMUB ist ein Effizienzhaus Plus eines mit „negativem Bedarf“, es muss im Jahresmittel sowohl an Endenergie als auch an Primärenergie mehr erzeugen als verbrauchen (zu End- und Primärenergie: siehe Kasten „Aufgepasst!“). Es ist keine Kunst, rein rechnerisch ins Plus zu kommen, in beiden Sparten. Die Energie­erzeugung übernimmt üblicherweise die Photovoltaikanlage und der fällt es nicht schwer, im Jahr weit mehr Kilowattstunden zu liefern, als selbst ein nur nach den Mindestvorgaben der EnEV gebautes Haus benötigt, vorausgesetzt, die Module haben das Süddach für sich.

Strom selbst verbrauchen

Theoretisch könnte man nun unsere komplette Energieversorgung dezen­tralisieren, indem man jedes Haus zum Versorger macht und sie alle über ein Energie-Internet verbindet, so die Vision zum Beispiel eines Jeremy Rifkin. In der Praxis, wenden Kritiker ein, bleibe ein Wohnkraftwerk derzeit im Winter auf Netzstrom angewiesen, und der sei leider, dank Förderung der Kohlekraftwerke, alles andere als sauber und CO2-frei; für die saubere Energie vom eigenen Dach bekomme man zudem nach den drastischen Kürzungen der letzten Jahre nur noch eine schmale Vergütung. Dieser Falle jedoch kann man durch die Senkung des Energiebedarfs und die Erhöhung des Eigenverbrauchsanteils am erzeugten Solarstrom entgehen. Das Problem des hohen Wärmebedarfs im Winter entschärft man mit optimalem Wärmeschutz, den Stromverbrauch hält man mit LED-Beleuchtung und Geräten der höchsten Effizienzklassen klein. Um so wenig Solarstrom wie möglich gegen schlechtes Geld abgeben zu müssen, nutzt man ihn möglichst selber, auch zeitversetzt durch Verwendung eines Batteriespeichers.

Wärmeverluste minimieren

Unter Plusenergie-Pionieren redet man gerne vom „Aktivhaus“, hält eher wenig von der Passivhausbauweise. Der erstklassige Wärmeschutz von Passivhäusern allerdings bedeutet, dass sie sogar in der kalten Jahreszeit oft von nichts als der Abwärme ihrer Bewohner, der Hausgeräte und von den durch die Fenster einfallenden Sonnenstrahlen beheizt werden. Architekt und Energieberater Andreas Miller, dessen MüPEG, das „Münnerstädter Plusenergiegebäude“, Teil der Forschungsinitiative ist, setzt als bisher einziger im Projekt konsequent auf genau diese Bauweise. Sein Wohnhaus mit integriertem Büro ist eine Holzrahmenkonstruktion, verfügt über eine bis zu 40 Zentimeter starke Außendämmung aus Zellulose und Holzweichfasern. Eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung und eine „Mini-Wärmepumpe“ sowie die passiven solaren Gewinne sorgen für Behaglichkeit. 2013/14 habe der Energiebedarf unter, der Ertrag der monokristallinen Solarmodule auf dem Pultdach deutlich über den Prognosen gelegen. Ein entscheidender Vorteil dieses Haustyps sei, dass es ihn und damit alle Berechnungsverfahren schon seit 20 Jahren gebe, auf seiner Basis könne Plusenergie sofort überall verwirklicht werden, zu überschaubaren Mehrkosten. Miller: „Jedes Passivhaus kann ohne Schwierigkeiten zum Aktivhaus werden.“ Viele Wege führen ans Ziel Neben dem Bewährten darf man aber ein Auge auf die Forschungsprojekte haben, bei denen wirklich Prototypen zum Einsatz kommen. Von Sobeks Berliner Leuchtturmprojekt war ein bayerischer Baustoffhersteller derart begeistert, dass er in Deggendorf ein Plus-Haus mit Photovoltaikanlage, Batteriespeicher, Solarthermie-Kollektoren sowie einem 9.200 Liter fassenden Solar-Warmwasserspeicher errichten ließ. Wäre er zu bekommen gewesen, hätte man als weiteren Stauraum für die produzierte Energie gerne noch einen Druckluftspeicher getestet, so Architekt Peter Kemper aus Passau. Man sieht, in Sachen Plus-Energie gibt es weiter Neuland zu entdecken. Doch der Stand der Technik bietet schon heute alles Nötige, um als Häuslebauer zum Energieversorger zu werden.

Weitere Infos:

Aufgepasst!
Unter Endenergie versteht man die im Haus gemessenen Kilowattstunden, ob in Form von Wärme oder Strom, ob erzeugt oder verbraucht. Primärenergie ist streng wissenschaftlich gesehen Energie in Rohform, wie sie in den Energieträgern Öl, Gas, Kohle, Uran, Holz, Wind, Sonne steckt. In der Energiebilanz eines Hauses ist Primärenergie die Endenergie zuzüglich der sogenannten Vorkette, der Kilowattstunden, die aufgewendet werden müssen, um die Endenergie dem Verbraucher bereitzustellen, z. B. im Zuge von Förderung, Aufbereitung, Transport. Angerechnet wird in der EnEV allerdings nur der nicht erneuerbare, umweltschädigende Teil, der in der Bereitstellung steckt, also der aus fossilen Brennstoffen und aus Uran.

Finanzierung und Förderung
Noch ist das „Effizienzhaus Plus“ kein Förderstandard der KfW, soll es aber in absehbarer Zeit werden. Der Wärmeschutz der bisher gebauten Plus-Häuser liegt auf einem Niveau zwischen dem des KfW-Effizienzhauses 40 und dem des Effizienzhauses 55. Das BMUB beziffert die Mehrkosten für diese Bauweise zuzüglich der erforderlichen Anlagentechnik (Lüftungsanlage, Photovoltaik, Batteriespeicher, Automatisation zwecks Energiemanagement usw.) derzeit mit 230 bis 325 Euro je Quadratmeter. Dem ständen aber stark verminderte Betriebskosten gegenüber. Aufgrund der gesunkenen Vergütung für Solarstrom empfehle es sich, einen hohen Eigenverbrauch anzustreben.

Info-Tipp:
Die BMUB-Broschüre „Wege zum Effizienzhaus Plus“ bekommt man beim Publikationsversand der Bundesregierung, Postfach 48 10 09, 18132 Rostock, Internet: www.bmub.bund.de/bestellformular.
Weitere Info-Adressen: www.forschungsinitiative.de: die Website der „Forschungsinitiative Zukunft Bau“ informiert über Konzept und Technik des Effizienzhauses Plus sowie die Objekte der Forschungsinitiative.
www.plusenergie.de: Website des Freiburger Solararchitekten und Plusenergie-Pioniers Rolf Disch www.fertighauswelt-koeln.de und
www.fertighauswelt-wuppertal.de: Internetseiten zweier Musterhauszentren mit Plusenergie-Häusern