
Dauerhaft unangenehme Gerüche machen den schönsten Raum zur Tortur. Doch immer mehr Menschen achten auf entsprechende Belastungen und Belästigungen.
Noch bevor unser Gehör Geräusche richtig zuordnet, bevor Augen und Gehirn einen Raum optisch erfasst haben, hat sich schon ein anderer unserer Sinne einen Eindruck verschafft: unsere Nase.
20 bis 30 Millionen Riechzellen vermitteln uns in Sekundenbruchteilen eine erste Einschätzung. Frisch, angenehm, muffig, süßlich, stechend sind nur einige wenige Bezeichnungen für die Sinneseindrücke, die so auf uns einstürmen.
Zwar riechen wir sehr viel schlechter als zum Beispiel Hunde, gegen die damit verbundenen Gefühle können wir uns aber genauso wenig wehren. Wer denkt bei Plätzchenduft nicht an Weihnachten und Kindheitserinnerungen?
Flüchtige Verbindungen
Doch manchmal würde man sich am liebsten dauernd die Nase zuhalten. Baustoffe, Einrichtungsgegenstände und Möbel verströmen häufig so intensive, oft unangenehme Gerüche, dass man unweigerlich an Flucht denkt.
Solche Gerüche weisen auf die Emission chemischer Substanzen hin, häufig handelt es sich um flüchtige organische Verbindungen (VOC), von denen manche als Schadstoffe negative Auswirkungen auf die Befindlichkeit haben. Das kann, muss aber nicht so sein. Denn manche Stoffe riechen auch in geringer Konzentration sehr intensiv, ohne dass der Stoff selbst gesundheitsschädlich ist.

Beispiele für Gerüche aus Baustoffen:
- ein süßlicher Geruch aus PVC-Böden, hervorgerufen durch Phenylverbindungen, die Abbauprodukte von Weichmachern sind
- bei Weichmachern selbst handelt es sich um nicht riechende Phthalate
- OSB-Holzwerkstoffplatten können einen sauren Geruch verströmen, der durch Essigsäure entsteht
- Teppiche mit einem Rücken aus Kunststoffschaum haben häufig einen stark stechenden Geruch, für den der Stoff Vinylcyclohexen (ein Abbauprodukt des Styrol-Butadien-Kautschuks) verantwortlich ist
- zahlreiche bauchemische Produkte vom Lösemittel über Kleber bis zur Dichtmasse sowie Farben und Lacke
Geruch von Naturprodukten
Auch Naturprodukte riechen. Der typische Holzgeruch entsteht zum Beispiel durch holzeigene Terpene, die im Harz enthalten sind.
Naturfarben können Zitrus- oder Orangenöle beigemischt sein. Und Linoleum verfügt über den produkttypischen Geruch, der durch Oxidationsprozesse des verwendeten Leinöls entsteht. Nicht für jeden ist das angenehm.

Unangenehme Gerüche sind messbar
Gerüche werden sehr individuell wahrgenommen. Was für den einen wohltuend ist, ist für andere unerträglich. Das gilt nicht nur für Menschen mit Allergien, zum Beispiel gegen Zitrusdüfte, stärker aber noch für Menschen, die an Multipler Chemikalien Sensitivität (MCS) erkrankt sind.
Andererseits gewöhnen wir uns schnell an Gerüche und auch die sogenannte Geruchsschwelle ist bei jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägt.
Um diesen subjektiven Faktor auszuschalten und weil sich in den letzten Jahren Beschwerden und Gerichtsklagen wegen schlechter Gerüche in Innenräumen häufen, wurden Verfahren entwickelt, mit denen sich Gerüche klassifizieren lassen.
Nach der DIN EN ISO 16000-28 und der VDI-Norm 4302 bewerten in Prüflaboren Gruppen von ausgebildeten Personen einen Geruch nach unterschiedlichen Kriterien. Maßgeblich sind Intensität und die „ästhetische Dimension“ (Hedonik) von äußerst angenehm bis äußerst unangenehm. Anhand einer Skala wird ein Durchschnittswert ermittelt und klassifiziert.
Andauernder Geruch als Mangel
Gegenüber früher sind solche Verfahren ein echter Fortschritt. Denn dauerhafte Gerüche sind nicht nur lästig, sondern können auch gesundheitliche Folgen haben, die sich häufig aber nicht genau zuordnen lassen.
Doch auch wenn keine gesundheitlichen Folgen vorhanden sind, wird ein dauerhafter Geruch von Gerichten als Mangel anerkannt. Ist ein Geruch auch vier bis sechs Wochen nach dem Bezug oder der Renovierung nicht verschwunden, sollte man den Verkäufer oder den Handwerker zur Nachbesserung oder Rücknahme auffordern.

Das gilt auch für Möbel, hat das Landgericht Coburg bereits 2009 festgestellt. Nach dessen Urteil konnte ein Käufer vom Vertrag zurücktreten, weil ein Schlafzimmermöbel auch mehr als ein Jahr nach dem Kauf noch einen unangenehmen Chemikaliengeruch verströmte. Dabei sei es ohne Belang, ob die Gerüche auch gesundheitsschädlich sind, so das Gericht (Az: 6 U 30/09).
Auch im Fall einer nach zehn Monaten immer noch stark stinkenden Parkettversiegelung hat das Oberlandesgericht Köln einer Familie Schadensersatz und einen Nutzungsausfall für die betroffenen Räume zugesprochen (Az: 3 U 66/02).
Vorsicht bei der Produktauswahl
Deutlich einfacher ist es, gleich bei der Produktauswahl auf den Geruch zu achten. Schließlich haben wir das passende Messgerät mitten im Gesicht. Mal eine Lackdose öffnen, den Handwerker nach den (Geruchs-)Emissionen eines Klebers fragen und eine stinkende Tapete oder tränentreibende Möbel im Laden lassen, ist auf jeden Fall besser, als sich hinterher zu ärgern.
Auch einen Gipsspachtel mit Zitronenduft brauchen die wenigsten Menschen. Keine gute Lösung sind auch die ganzen Duftsprays und Duftöle, die unangenehme Gerüche übertünchen oder einfach eine gute Stimmung zaubern sollen.
Denn häufig sind sie selbst Quelle von Raumluftschadstoffen. Auch auf stark riechende Putz- und Pflegemittel, Weichspüler oder Waschmittel kann man verzichten ohne Nachteile bei der Sauberkeit in Kauf zu nehmen. Und so richtig angenehm frisch wird es in den meisten Fällen ohnehin durch regelmäßiges Lüften und Reinigen.
Üblen Gerüchen auf der Spur
Immer wieder kommt es vor, dass sich in einer frisch sanierten Wohnung ein übler, fischiger Geruch ausbreitet, und das trotz umfangreicher Lüftungsmaßnahmen. Eine Benutzung der Räume ist unmöglich.
Das Problem ist den Wissenschaftlern am Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP nicht unbekannt. Die Ursachen solcher Geruchsquellen ausfindig zu machen und bei der Beseitigung zu beraten, gehört zu den Arbeitsfeldern des Instituts.
In einem ersten Schritt führt ein Gutachter eine Emissionsanalyse durch, indem Raumluft in ein Glasröhrchen gezogen wird. Das Ergebnis gibt Aufschluss, ob der gemessene Wert gesundheitlich und hygienisch auffällig oder gar bedenklich ist.
Doch nicht alles, was die menschliche Nase wahrnimmt, ist für die Wissenschaftler messbar. In solchen Fällen erfolgt eine Begehung der Räume, um die Geruchsquelle zu lokalisieren. Die erfahrenen und geschulten Mitarbeiter des Fraunhofer IBP riechen differenzierter und länger als die meisten Menschen. Ungeschulte Nasen können ein bis zwei Aromen erkennen, geschulte schaffen meistens vier bis sogar fünf.
Neben der Erfassung des Geruchs kommt es auf die exakte Bewertung und Beschreibung an. Beim erwähnten fischigen Geruch kann beispielsweise der Estrich schuld sein, genauer gesagt, seine aminhaltigen Additive. Vor dem Verlegen des Bodens war hier dem Estrich nicht genügend Zeit zum Abbinden gegeben worden. In diesem Fall hilft nur die Entfernung der Primärquelle.