
Ein modernes Hanghaus, und eines, das in der Bauphase reichlich Neugierde weckte, hat das Stuttgarter Büro KTP an diesen Waldrand gesetzt. Auf ein Grundstück, das zuvor als „unbebaubar” galt.
Was man nicht unbedingt sehen muss und was kein Tageslicht braucht, das kann man ruhig eingraben. Nach diesem Prinzip hat der Künstler und Architekt César Manrique auf Lanzarote die Landschaft vor so mancher Zumutung bewahrt, wofür ihm die Inselbewohner bis heute dankbar sind. Ein kluges Prinzip, man dürfte es auch in unseren Breiten öfter beherzigen. So wie auf diesem nicht gerade kleinen Hanggrundstück im Nordwesten Ulms. Ein bunt und üppig mit Ostbäumen und Sträuchern bepflanzter, gepflegter Garten, der sich vom in einer Kurve gelegenen Zugang einige Gehminuten bis hoch an den Waldrand erstreckt.

geschützte Terrasse. Foto: Wendt
Schon sehr weit oben steht dann ein Objekt, das Manrique sicher nicht vergraben hätte, ein Beispiel für die dynamische Seite der Moderne. Kein in sich ruhender, klassischer Quader, im Gegenteil, ein offenbar neugieriges, keckes, an seiner Umgebung interessiertes, extrovertiertes Haus. Dabei vom ersten Eindruck her mehr ein leuchtend weißes, ausladendes Obergeschoss auf dunkelgrauem Sockel, das während seiner Entstehung für lebhaften Baustellentourismus sorgte. Seine überwiegend bodentiefen Fenster, von denen es reichlich hat, lugen in alle acht Himmelsrichtungen. Von hier oben hat man die Nachbarn, den Wald und das Umland im Blick – und steht mitten im Grünen. Und keine Zufahrt von der Straße herauf stört den Eindruck, zerschneidet das Idyll. Die wurde unter die Erde verbannt. Will man mit dem Auto vorfahren, muss man abtauchen, muss unter dem Garten hindurch, zur Garage im Untergeschoss.

Schön zerklüftet
Auf den unvorbereiteten Besucher könnte das Innere zuerst chaotisch wirken, mit seiner scheint’s noch aktiven Plattentektonik, dem abenteuerlichen Neben- und Über-, dem In- und Untereinander von Bauteilen, Wandscheiben, Decken, Glasflächen. Dennoch besitzt es eine Struktur, die Sicherheit und Orientierung gibt, und die alle Räume, von denen keiner wie der andere geschnitten ist, auf einen Punkt außerhalb des Gebäudes, auf der Terrasse, ausrichtet. Es zentriert. Der Flügel der Eltern im Westen und der der Kinder im Osten bilden zusammen eine Klammer, innen befinden sich dazwischen Galerie und Luftraum.

„Schnelles Haus“
Als unbebaubar hatte das Grundstück am Waldrand gegolten. Ein Generalunternehmer, der es trotzdem gekauft hatte, musste es, bevor er zur Tat schreiten konnte, 2007 aus finanziellen Gründen wieder abstoßen. Die heutigen Besitzer, ein Ulmer Ehepaar, schon lange heimlich in das Areal verliebt, griffen zu. Unbebaubar? Man musste nur das Gelände mit entwerfen lassen.

Der Bauherr hatte da bereits eine baumhaus-inspirierte Idee im Kopf: Ebenen hier und da, die Ausblicke in alle Richtungen erlauben sollten. Aus einem Wettbewerb ging das Stuttgarter Büro KTP Architekten – Kauffmann Theilig & Partner – als Sieger hervor. Die erste Version von KTP war beiden indes noch eine Spur zu groß. Einmal aus Kostengründen, dann im Hinblick auf die nicht so ferne Zukunft, in der sie das Gebäude alleine, ohne ihre zwei Kinder, beide zum Zeitpunkt des Planungsbeginns Teenager, würden mit Leben füllen müssen. Um ein Geschoss reduziert, von drei auf zwei, blieben die wesentlichen Qualitäten alle erhalten. Er zitiert den Projektleiter Andreas Nothdurft, der nach erfolgtem Downsizing sagte: „Jetzt ist es ein schnelles Haus.“

Synergieeffekt
Nothdurft: „Das Gebäude besteht aufgrund der Auskragungen und der stützenfreien Ausführung fast ausschließlich aus Stahlbeton …“. Wie die unterirdische Zufahrt. Dass sie die eleganteste Lösung des Erschließungs-Problems war, stand früh fest, lediglich die Kosten bereiteten Kopfzerbrechen. Bis der Rohbauunternehmer meinte, er benötige ja eine ordentliche Baustraße, für die er aufgrund der Gegebenheiten des Geländes am liebsten eine Schneise mit dem Bagger von der Kurve unten am Hang bis hinauf zur Baugrube ziehen würde. Voilà – die Erdarbeiten waren damit so gut wie abgehakt.

Autarkie
„Das ist kein Passivhaus…“ stellt der Projektleiter klar. Bei aller Energieeffizienz – es verfügt über eine Erdwärmepumpe, die heizen und im Sommer kühlen kann, eine Lüftung mit Wärmerückgewinnung, über eine Drei-Scheiben-Verglasung – habe man die Ausdrucksstärke der Architektur auf keinen Fall der bauphysikalisch günstigeren, kompakten Form opfern wollen.

Ebenso wenig wollte man auf die Verglasung auf der Nordseite verzichten. Beide Auftraggeber allerdings fasziniert die Idee der Autarkie, über die Energieautarkie hinaus. Er könnte sich vorstellen, in den nächsten Jahren deutlich mehr Selbstversorgung zu wagen, etwa Solarstromerzeugung und -speicherung, sie würde gerne in die Imkerei einsteigen. Schon jetzt ist der Garten mit seinen Obstbäumen, unter anderem Pflaume, Kirsche, Quitte, Indianer-Banane, mit seinen Himbeersträuchern und dem Erdbeerbeet mehr Nutz- als Ziergarten, ein Paradies für Hummeln, Käfer, Wildbienen und andere Insekten. Gute tausend Quadratmeter reinster Beschaulichkeit und Ruhe. Schnell ist dafür das Haus.

BAUTAFEL:
Planungszeit: Sept. 2007 – Okt. 2009
Bauzeit: Juli 2008 – Okt. 2009
Bauweise: massiv
Wohnfläche: UG ca. 85 m² (inkl. Parkfläche), EG ca. 60 m², OG 110 ca. m² Baustoff, konstruktiv: Stahlbeton, Mauerwerk
Fassade: zementfreier mineralischer Putz
Dämmung: Wärmedämm-Verbundsystem mit 12 cm Polystyrol
U-Werte der Außenwände: ca. 0,168 W/(m²K)
U-Wert der Fenster: ca. 0,95 W/(m²K)
U-Wert Dach: ca. 0,145 W/(m²K)
Haustechnik: kontrollierte Lüftung mit Wärmerückgewinnung, Sole/Wasser-Wärmepumpe mit Kühlfunktion, Heiz-Kühl-Decken, offener Kamin, Regenwassernutzung (Zisterne), Hausautomation zur Steuerung von Heizung, Lüftung, Verschattung, Alarmanlage
Jahres-Primärenergiebedarf: ca. 70,5 kWh/(m²a)
Jahres-Endenergiebedarf: ca. 26,1 kWh/(m²a)
Baukosten: keine Angaben
Architekten: Kauffmann Theilig & Partner Freie Architekten BDA