Die Vorgabe der „Anpassung an die Umgebung“ soll das Aus-der-Reihe-Tanzen verhindern. Hier aber zählte zur Umgebung ein sehr moderner Kirchenbau mit Flachdach – der dem klassisch-modernen Wohnhaus den Weg ebnete.

Verglast auf drei Seiten, hat der kleine Quader auf dem Flachdach, in dem die Treppe endet, etwas vom Lampenhaus eines Leuchtturms. Er erlaubt selbst dann die ­Aussicht auf die hübsche Altstadt und die Weinberge der Umgebung, wenn es auf der großzügigen Dachterrasse zu ungemütlich wird. Sein dunkelgrauer Putz passt zur grauen Holz­verschalung des Obergeschosses, beide zusammen kontrastieren mit der schlohweißen Fassade des Erd- und des Hanggeschosses. Ein weißer Riegel verbindet das Erdgeschoss mit dem Carport, dessen Dach hier von Wänden, da lediglich von rhythmisch gesetzten Wandscheiben getragen wird. Eine dieser Wandscheiben allerdings steht völlig frei. Eindeutig hat man es hier mit einem Musterbeispiel klassisch-moderner Architektur zu tun.

Terrasse des Leuchtturm-Projekts.
Foto: Dietmar Strauß

Kein Sicherheitsabstand

„Ich gebe ja wirklich nie Empfeh­­l­ungen, … ” so einer der Bekannten von Melanie Sailer und Jochen Behringer auf die Frage, ob sie ihnen einen guten Architekten nennen könnten, „… aber den Herrn Fichtner, den kann ich wirklich empfehlen.“ Das sei keiner, der im Anzug und mit Kladde um die Baustelle herumlaufe, in sicherem Abstand zum Staub und zum Dreck, sondern einer, der den Handwerkern auf die Finger schaue und sofort einschreite, wenn etwas nicht richtig laufe. Er plane akkurat, halte vor allem den Kostenrahmen ein, und nehme weder gegenüber den Ausführenden noch den Behörden noch gegenüber seinen Klienten ein Blatt vor den Mund. So einen suchte das junge Paar, das ein Gebäude aus den späten Vierzigern durch ein neues ersetzen wollte, größer, heller, mit Flachdach. Uwe Fichtner vom Architekturbüro Rast in Großbottwar erhielt den Zuschlag und legte los.

Die Treppe auf die Dachterrasse endet im Glasaufbau.
Die Treppe auf die Dachterrasse endet im Glasaufbau. Bei Schlechtwetter kann man die Aussicht auch hinter den Wärmeschutzfenstern genießen. Foto: Dietmar Strauß

Kalte Dusche

In der Erwartung, dass sein kantig-moderner Entwurf nicht einfach durchgewunken werden würde, führte er im Vorfeld mehrere Gespräche mit der Leiterin des Bauamtes sowie der Kreisbaumeisterin. Die Amtsleiterin war skeptisch: ein Flachdach zwischen lauter Satteldächern? Moment, so Fichtner, es gebe doch bereits eines in unmittelbarer Nachbarschaft, das der Kirche. Wo bitte stehe geschrieben, dass für Kirchen andere Regeln gelten als für Wohnbauten? Diesem Argument konnte die Behörde sich nicht ohne Weiteres verschließen. „Wir ­erhielten die Zusicherung, gemäß ­unseren Entwurfsplänen bauen zu dürfen.“ Wenig später jedoch kam die kalte Dusche: „Auf der Sitzung des Gemeinderats … “, erinnert sich Jochen Behringer, „… stellte besagte Bauamtsleiterin unser Projekt vor, merkwürdig distanziert und kritisch.“ Und prompt wurde es abgelehnt. Das wollte, das konnte Fichtner nicht akzeptieren, schaltete wieder den Landkreis mit ein, dazu den Bürgermeister. Nach einigem Hin und Her und einigen Änderungen wurde der Bauantrag – nach wie vor mit Flachdach – schließlich doch genehmigt.

Ausgabendisziplin

Widrigkeiten können die Kreativität bekanntlich regelrecht beflügeln. Die Bauherren jedenfalls fanden das ­Ergebnis der Überarbeitung fast noch schöner. Nur wurde es aufgrund der Umplanungen auch teurer. Gut, dass der Architekt in Sachen Ausstattung (und nicht nur dort) sehr genau ­zwischen unentbehrlich und überflüssig unterschied. Für die Badausstattung im gesamten Gebäude, einschließlich der Einliegerwohnung im Hang­geschoss, hatte er rund 12.000 Euro veranschlagt. Das Baupaar hingegen war nach dem Gang durch die Fachgeschäfte schnell bei 30.000 Euro ­angelangt. Behringer: „Das meiste davon braucht ihr nicht, sagte er uns klipp und klar.“ Am Ende fand man für die von ihm anvisierte Summe ­solide Qualität.

Der Innenhof mit Steingarten ist unter anderem über Küche und Esszimmer zu erreichen.
Drinnendraußen wohnen: Der Innenhof mit Steingarten ist unter anderem über Küche und Esszimmer zu erreichen. Foto: Dietmar Strauß

Detailpläne

Jochen Behringer ist Wirtschafts­ingenieur, hat aber eine Lehre als ­Zimmermann abgeschlossen. Die Holzfassade am Obergeschoss hat er in Eigenleistung angebracht, beraten vom Planer und seinen Fachleuten, etwa was die Behandlung der Lärchenbretter betraf. „Wer sich allein auf die natürliche Vergrauung des Lärchenholzes verlässt, kann eine ­böse ­Überraschung erleben …“, weiß der Architekt. Streiche man das Material dagegen mit einer grauen Lasur vor, erhalte man eine auch auf Dauer gleichmäßige Optik. Er fertigte detaillierte Konstruktionszeichnungen zur Anbringung an, die keine Fragen ­offen ließen. Einmal mehr verstanden die Auftraggeber, warum ihnen gerade Fichtner empfohlen worden war.

Kasten mit Kontrast.
Kasten mit Kontrast: rein weiße Wände und Wandelemente unten, eine grau lasierte Holzverschalung oben. Foto: Dietmar Strauß

Umstritten

Jüngst hat die UNESCO einige der Bauten Le Corbusiers zum Teil des Weltkulturerbes erklärt, darunter zwei Häuser der Weißenhof-Siedlung im nur eine halbe Autostunde entfernten Stuttgart. Le Corbusier (1887 – 1965) war Pionier der Klassischen Moderne, an seinem Werk scheiden sich bis heute die Geister, er wird verehrt und verteufelt. So dürfen Sailer und Behringer über die gemischten Reaktionen auf ihren kantigen, geradlinigen ­Neuzugang eigentlich ganz froh sein. „Die direkten Nachbarn waren zum Teil überhaupt nicht mit der Außenansicht einverstanden, andere wiederum sehr angetan.“ Bis auf Weiteres wird es wohl das Los vieler Beispiele einer ernst gemeinten Moderne ­bleiben: An manchen Orten sind sie UNESCO-Welterbe und umstritten, an anderen sind sie nur umstritten.

Die Latten der Holzverschalung wurden mit grauer Lasur gestrichen.
Die Latten der Holzverschalung wurden mit grauer Lasur gestrichen, um eine auch auf Dauer gleichmäßige Optik zu erhalten. Foto: Dietmar Strauß

Bautafel

Planungszeit: Dez. 2011 – Nov. 2012
Bauzeit: Februar 2013 – März 2014
Bauweise: massiv
Wohnfläche: UG ca. 53,48 m², EG ca. 82,49 m², OG ca. 77,44 m²
Baustoffe, konstruktiv: Hochlochziegel, ­Stahlbeton
Dämmung: Wärmedämm-Verbundsystem mit Polystyrol; Mineralwolle (hinter der ­Holzverschalung)
U-Werte der Außenwände: ca. 0,126 W/(m²K)
U-Wert der Fenster: ca. 0,95 W/(m²K)
Haustechnik: kontrollierte Lüftung mit ­Wärmerückgewinnung, Luft/Wasser-Wärmepumpe, raumluftunabhängiger Kaminofen, zentrale Staubsauganlage
Jahres-Primärenergiebedarf: ca. 42 kWh/(m²a)
Jahres-Endenergiebedarf: ca. 16,2 kWh/(m²a)
Baukosten: keine Angaben
Architekt: Uwe Fichtner, Architekt Dipl.-Ing. FH, Architekturbüro Rast – Planen Bauen Wohnen

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