
Architekten reden gerne vom Reduzieren aufs Allereinfachste. Aber warum nicht auch einmal verkomplizieren, verschachteln? Aus einem blockhaften Gewerbebau hat unser Planer ein buntes, lockeres Ensemble von Baukörpern gemacht. Reduziert ist dafür der Energiebedarf.
Das wäre doch der ideale Übungsraum … “, so oder ähnlich schoss es Daniel Sieker durch den Kopf, als er 2011 den weitläufigen Keller der Immobilie in der Bielefelder Innenstadt besichtigte. War natürlich nicht der einzige Vorzug des Objekts, aber in dem Moment das Zünglein an der Waage. Das Untergeschoss gehörte zu einer gewachsenen Kombination aus Wohnhaus, Verwaltung und Lagerhalle, über die Jahrzehnte peu à peu errichtet von einem Gemüsegroßhändler. Der gewerbliche Teil, mit Flachdach, hatte seine Wurzeln in den 1930er Jahren, war öfter ergänzt, in den 1980ern noch einmal umgebaut worden, und machte einen reizlosen Eindruck. Nicht nur deswegen bekam Sieker, der dort wohnen und sein Architekturbüro unterbringen wollte, gleich nach Erwerb des Funktionsbaus von einem befreundeten Statiker den Rat: „Reiß das ab und setz’ was Neues hin!”

Stufenpyramide
Heute, vier Jahre später, sieht es fast so aus, als hätte der Architekt ihn befolgt. Wo sich vorher die Straßenfront des Gewerbebaus mit heller, nicht mehr ganz makelloser Putzfassade präsentierte, steht ein Würfel in gleicher Höhe schwarz verklinkert, nicht zu geizig verglast, offensichtlich wieder gewerblich genutzt. Hinter dem Würfel folgt ein leuchtend weißer, länglicher Baukörper, auf dem sich weitere Körper mit Ecken und Kanten stapeln, mit Holzverschalung, zusammen eine kleine, westfälische Stufenpyramide. Wer jedoch vor dem Umbau oft genug an dieser Adresse vorbeigekommen ist, dem wird zumindest die Situation bekannt vorkommen, die Einfahrt und auch das Falttor der Garage, jedes der Elemente mit einer Rautenverglasung versehen. Obwohl – waren die früher schon dunkelbraun?

Alte Ziegel
Was von außen beinahe aussieht wie neu, ist es nur zu einem Drittel. Bis auf die Aufstockungen in heller, lasierter Lärche hat man die originale Substanz belassen, Keller, Erdgeschoss, einen großen Teil des ersten Obergeschosses.

In den Büroräumen könnte man noch an einen Neubau denken, dort gibt es plane Decken und rechte Winkel, im Erdgeschoss einen Boden aus edel wirkendem, geschliffenem Estrich. Steht man aber im langgestreckten Wohn-Ess-Bereich dahinter, springen die Unregelmäßigkeiten ins Auge, an Wänden und Decken Beulen hier und Dellen da, und hinten, am Südende der Wohnlandschaft, ein Mauerwerk aus gestrichenen Ziegeln im Reichsformat, ungefähr so alt wie alle derzeitigen Bewohner zusammen. Hinauf in die beiden Obergeschosse gelangt man über eine stählerne Wendeltreppe. Im ersten befinden sich Arbeitszimmer, Galerie, WC und der Zugang zur Dachterrasse, im zweiten Schlafzimmer, Ankleide und Bad. Schlafen wie im Turmhotel. Vom Bett aus kann man auf einen langen, schmalen Balkon treten, mit Blick auf die benachbarte Schule im Nordosten. Ohne die es den Balkon nicht geben würde.

frei – vom ganz normalen Wahnsinn des Architektenalltags. Foto: Fister
Wechselbad der Gefühle
Gegen Ende war es in den alten Räumlichkeiten in Bielefeld-Senne, einem Anbau an das Wohnhaus der Siekers, recht eng geworden. In der Siechenmarschstraße dagegen, mitten in der Stadt, konnte man sich entfalten, sofern man den Bestand erhielt – denn ein Ersatzneubau hätte bescheidener dimensioniert werden müssen. Und eine derart großzügige, stützenfreie Halle, die zum Loftwohnen einlud, „… hätte man so ohne weiteres nicht neu bauen können.” Jetzt sollte man nicht nur mehr Platz bekommen, die Infrastruktur war hervorragend, Gaststätten, Einkaufsmöglichkeiten, es stimmte einfach alles.

Ensembles ab. Foto: Fister
Doch Bauen in der Stadt ist nichts für Feiglinge, erst recht nicht dort, wo die Häuser sich gegenseitig so nahe auf die Pelle rücken. Mit der kontrastreichen Optik des Hybrids gab es vom Amt aus keinerlei Probleme, „… es ist Paragraph-34-Gebiet, ohne B-Plan, man muss sich lediglich an die Umgebung anpassen… “, und die ist ihrerseits eine reichlich bunte Stilmischung. Als dann aber der Entwurf fertig und bereits so gut wie abgesegnet war, erhob doch noch jemand vonseiten der Schule Einspruch, verlangte größere Abstände zur Aufstockung. Siekers Laune sank schlagartig auf einen Wert nahe Null. Schnell indes fing er sich wieder, setzte sich noch einmal an die Pläne und arbeitete sie über Nacht um, nahm die oberste Etage auf der Nordostseite etwas zurück, ließ sie dafür im Nordwesten und Südwesten ein Stück weit über die Dachterrasse ragen. Und siehe da, die neue Version, eine Spur wilder, verrückter, verschachtelter, gefiel ihm sogar noch besser. Kaum nun hatte er sich erleichtert und zufrieden zurückgelehnt, meldete sich die Behörde wieder: der Einspruch habe sich erledigt, er könne wie ursprünglich verfahren. Trocken teilte er dem Anrufer mit, dass „wie ursprünglich” Geschichte war.

Grenzüberschreitend
Andererseits machen gewisse Verordnungen und Vorschriften das Planerleben auch leichter. Eine davon erlaubt Modernisierern in Nordrhein-Westfalen, mit der neuen Außendämmung auf das Nachbargrundstück „überzugreifen”; die Nachbarn im Südwesten mussten den Übergriff akzeptieren, erhielten dafür eine festgesetzte Ausgleichszahlung. Sieker hat schon etliche, energetisch ehrgeizige Modernisierungen durchgeführt, hier, in seinem zukünftigen Aushängeschild, ging er ebenso konsequent vor. Anstatt eines Gasanschlusses verfügt das Gebäude heute über einen Fernwärmeanschluss. Vom Untergeschoss bis in die Turmzimmer wurden jeweils Fußbodenheizungen verlegt. Eine Lüftung mit Wärmerückgewinnung sorgt für dauerhaft gute Luftqualität ohne nennenswerte Energieverluste.

Ab in die City
Siekers sind mit dem Umzug einem Trend gefolgt, hinein in die City, er schwärmt vom regen kulturellen Umfeld, was mit dem hohen Prozentsatz an Studenten vor Ort zu tun habe, die Uni sei ganz in der Nähe. Zwei Minuten läuft man vom Büro zum Siegfriedplatz, zum „Siggi”, wie die Bielefelder sagen, auf dem das Leben tobt, wo zweimal wöchentlich Markt ist. Der Siggi sei sogar einmal in einer überregionalen Tageszeitung als einer der fünf schönsten Plätze Deutschlands bezeichnet worden. Lebhaft ist das Umfeld nicht zuletzt dank der Schule nebenan. „Auf jeden Fall besser als eine viel befahrene Straße.” Trotzdem heißt es, Rücksicht zu nehmen. Es stellte sich nach genauerem Hinsehen als zu schwierig heraus, den Keller mit einem ordentlichen Schallschutz zu versehen, und das ist leider ein Muss, die Band ist vollelektrisch – „It Might Get Loud”. So wurde das Projekt Übungsraum auf Eis gelegt. Vorerst spielt der Architekt seine E-Gitarren im Wohnzimmer und in nachbarschaftsfreundlicher Lautstärke.

Umbau-Daten Loft:
Umbauphase: April-Dez. 2012
Bauweise Bestand: Massivbauweise
Baustoffe Bestand, konstruktiv: Ziegel, Beton, Stahlträger, KV-Holz
Bauweise Aufstockung: Holzrahmenbauweise
Baustoffe Umbau, konstruktiv: Holz
Dämmung: Holzrahmenbau mit Zelluloseflocken, Bestand mit Wärmedämm-Verbundsystem
Baustoffe Ausbau: Estrich, geschliffen (Fußboden Büro), Massivparkett Eiche, geölt (Wohnteil)
Fassade: Verschalung aus Lärchenholzbrettern, hinterlüftet (Aufstockung); Putz (Bestand Wohnen); Klinker (Büro)
U-Werte der Außenwände neu: Holzrahmenbau ca. 0,15 W/(m2K); Bestand Wohnen ca. 0,16 W/(m2K); Büro ca. 0,21 W/(m2K)
U-Wert der Fenster neu: ca. 1,1 W/(m2K)
Heizung vorher: Gaskessel, offener Kamin
Heizung nachher: Fernwärme, Kamin mit Heizkassette, Lüftung mit W.rmerückgewinnung
Wohnfläche: EG ca. 110 m2, 1. OG ca. 36 m2 (Dachterrasse ca. 44 m2), 2. OG ca. 30 m2 (Balkon ca. 9,5 m2)
Fläche Büro: ca. 105 m2
Umbaukosten: keine Angaben
Umbauplanung: Dipl. Ing. Architekt Daniel Sieker, www.sieker-architekten
