Wohnen im Sommerhaus.

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Renovierungsarbeiten am Sommerhaus.
Eingerüstet und auf dem Weg der Besserung: die Sommer-Villa in der Umbauphase, noch mit einem der unpassenden Anbauten an der Straßenfront. Foto: Nick Wendt

Am Vorabend des Ersten Weltkriegs geplant und in großer Eile gebaut, hat dieser Potsdamer Hybrid aus Sommerhaus und Villa einige Zeit gebraucht, um wirklich zu sich selber zu finden. Genau genommen 94 Jahre.

Eine wundervolle Art der Verschwendung ist die auf einer Seite von kantigen Säulen flankierte Treppe, zum Haupteingang der Villa nahe am Heiligen See in Potsdam. Sie nimmt dem Hochparterre einige Quadratmeter und gibt dafür dem ganzen Gebäude etwas würdevoll Distanziertes. Die gesamte Fassade zeigt eine vornehm zurückhaltende Art, vornehm durch Verzicht aufs Verspielte, feine Balance zwischen Strenge und Ornament haltend. Nur ein paar Schritte vom Wasser entfernt, bringt es das Haus fertig, innen noch sommerlich zu wirken, wenn es zum Baden längst zu kalt ist und die Sonne sich rar macht: die Wände und Decken in hellen Pastellfarben gestrichen, die Treppe weiß und durchscheinend lasiert; im Schlafzimmer dominieren zarte Rosé- und Taupetöne. So geschickt verteilt sind die Fenster, dass das Innere überall gleichmäßig sanft belichtet wird, nirgendwo grell. Die Räume sind um das mittig an der Nordostseite platzierte Treppenhaus gruppiert. Alle von vergleichbarer Größe, ein „neutraler” Grundriss, wie Architekten ihn ja immer wieder loben. Man sagt ihnen ohnehin nach, dass sie Altbauten mit solchen Einteilungen den modernen vorziehen. Und siehe da, die Eigentümerin ist tatsächlich Architektin.

Mitgelitten

Dipl.-Ing. Franziska Groß und ihr Mann haben das gute Stück 2005 erworben. Es sei ein eigentümlicher Hybrid aus Sommerhaus und Villa, kurz vor dem Ersten Weltkrieg von einem Oberst Wolf als Domizil für die warme Jahreszeit in Auftrag gegeben. Hochparterre und Großzügigkeit kämen vom bürgerlichen Repräsentativbau, asymmetrische Anlage, Helligkeit und Luftigkeit vom Sommersitz.

Als Mieterin der Beletage, des ersten Obergeschosses, hatte Franziska Groß zuvor ausführlich Gelegenheit gehabt, die inneren Werte der Immobilie kennen-zulernen. Wenig sympathisch fand sie ihren Vermieter, einen ehemaligen DDR-Apparatschik, umso sympathischer dagegen die rechtmäßigen Eigentümer, deren Vater beziehungsweise Schwiegervater das Anwesen zu Beginn der Dreißiger gekauft hatte. Als sie es nach einem sich über 15 Jahre hinziehenden Restitutionsverfahren zurückerhielten, hatten sie nicht mehr die Kraft, zu renovieren, verkauften es an die erfahrene Umbau-planerin. Die mitgelitten hatte, mit ihnen – und mit dem vernachlässigten Objekt.

Das Sommerhaus dringt durch

Von grauen, überdimensionierten Betondachsteinen verunstaltet, von Anbauten, eigentlich Wucherungen, darunter ein zweiter Balkon „mit Stahltreppe in den Garten”, die Fassade in einem kränklichen Graubraun, der Garten selber zugestellt mit einer Garage, mit zahlreichen Schuppen für dieses und jenes. „Innen war es von einigen Segnungen der Baumarktsortimente gezeichnet, unter anderem Kunststofffenstern in den falschen Größen. Die Hälfte der Türen, …DDR-Pappmaché.” Doch bot es genug gesunde Substanz, bis hin zum weitgehend intakten Dachstuhl: „… eben gute Hölzer, vor dem Einbau lange gelagert, nicht so wie heute üblich technisch getrocknet.” Erwartungsgemäß musste der Keller abgegraben und entfeuchtet werden. Mittels Mauerwerksinjektage brachte man eine Kapillarsperre gegen aufsteigendes Wasser an. Kelleraußendämmung und neue Drainage ergänzten den Feuchte- und Wärmeschutz. Im Obergeschoss erhielten die soliden, jedoch relativ dünnen Wände, aus Vollziegeln, im Mansardbereich als Drahtputzwände ausgeführt – hier kommt das Sommerhaus durch – eine Innendämmung aus Kalziumsilikat-Platten beziehungsweise eine Einblasdämmung. Neutrale Grundrisse erleichtern die Umnutzung, sie wurden nur minimal geändert, und wenn, dann mit hohem Gewinn: Im zweiten Obergeschoss wurde vom vergrößerten Bad aus ein Zugang zum Balkon an der Nordwestecke geschaffen. Handgefertigte Kastenfenster oder Isolierfenster ersetzten die Baumarktware.

Madonna brutta

Eine der Geschichten Giovanni Guareschis aus der kleinen Welt von Don Camillo und Peppone dreht sich um eine unsagbar hässliche, plumpe Madonnenfigur, von allen nur „Madonna brutta” genannt. Bei einer Prozession kommt sie schließlich zu Schaden – Don Camillo hat etwas nachgeholfen – und unter dem bröckelnden Gips erscheint eine kleinere, überirdisch schöne Statuette. „Das hässlichste Haus der ganzen Straße” nannte die Sommer-Villa ein Nachbar mehr als einmal – die Potsdamer Schnauze steht der Berliner Schnauze in nichts nach. Erkundigte sich Franziska Groß’ Vater nach dem Fortgang der Arbeiten, frage er „Na, was macht eure Flakstellung?” Und der zuständige Denkmalschützer hatte nichts Schützenswertes an dem Objekt gefunden. Dann jedoch, 2008, nach Beendigung der Maßnahme, war Abbitte zu leisten. Offen und ehrlich bekannte besagter Nachbar, er habe sich „… in den A…. gebissen, weil er nicht erkannt habe, welches Schmuckstück da schlummerte.” Der Denkmalpfleger: „Also jetzt … würde ich es unter Schutz stellen.” Die Voreigentümerin meinte gar, so schön sei es zu ihrer Zeit nie gewesen.

Letzter Schliff

Solch eine Flut an Komplimenten muss Ursachen haben, eine wird die von Groß nach den Zeichnungen des damaligen Planers rekonstruierte Fassade sein. Wie sie so vorher nie existiert hatte, das Original muss den alten Fotos nach eine missglückte Improvisation gewesen sein, „… wahrscheinlich hatte der Stuckateur zu Kriegsbeginn einrücken müssen.” Aus der vom Architekten ursprünglich vorgesehenen Version könne man den heilsamen Einfluss eines Hermann Muthesius herauslesen, nach dem in Potsdam eine Straße benannt wurde, Architekturtheoretiker und als einer der Gründer des Deutschen Werkbundes immer für Klarheit, Strenge, Entschlackung, Schmuck mit Maß und Ziel. 94 Jahre musste die Villa am See auf diesen ihren letzten Schliff warten. Beim Kölner Dom hat’s länger gedauert.

Eingerüstet und auf dem Weg der Besserung
Eingerüstet und auf dem Weg der Besserung: die Sommer-Villa in der Umbauphase, noch mit einem der unpassenden Anbauten an der Straßenfront. Foto: Nick Wendt

Umbau-Daten:

Baujahr Altbau: 1914
Umbauphase: 2006 – 2008
Baustoffe Bestand, konstruktiv: Vollziegel, Holz
Bauweise Umbau: teils Massivbau-, teils Trockenbauweise
Baustoffe Umbau, konstruktiv: Ziegel, KV-Holz
Dämmung: Dachdämmung (Zelluloseflocken z. Einblasdämmung), Innendämmung (Kalziumsilikat-Platten)
Baustoffe Ausbau: Holzwolle-Leichtbauplatten, Mineralspachtel, Silikatfarbe, Naturstein, Eichenparkett
Fassade: Kalkputz, mineralische Fassadenfarbe
Heizung vorher: Kohle-Zentralheizung
Heizung nachher: Gas-Brennwertkessel
Wohnfläche vorher: ca. 304 m2
Wohnfläche nachher: ca. 300 m2
Umbaukosten: ca. 350.000 Euro (Haus) zzgl. ca. 80.000 Euro (Außenanlagen)
Umbauplanung: Dipl.-Ing. Franziska Groß, Arge4 Architekten

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