
Paris, Prag, Genf und Shanghai – Sophia Slingerland kam in ihrem Leben viel herum. Heute pendelt die Architektin und Interior Designerin zwischen der Schweiz und China. Nachhaltigkeit liegt der Mutter von vier Kindern besonders am Herzen, deshalb konzentriert sie sich auf Passivhäuser. Wir sprachen mit Sophia Slingerland über ihre Arbeit und Wohntrends.
Zur Person
Als Kind träumte sie von einer Karriere als Opernsängerin. Doch die fantasievollen Mosaike des Markusdoms in Venedig brachten sie zur Architektur. Schließlich gründete sie vor zehn Jahren im schweizerischen Nyon ihr Unternehmen Ateliers Phi. Unter der Marke Phi I setzt sie den Fokus auf Interior Design, Phi A konzentriert sich auf Architektur. Im Rahmen von Weiterbildungsseminaren wurde sie auf den Passivhausbau aufmerksam, dessen Konzept sie heute in ihre Entwürfe für Einfamilienhäuser integriert. Die Mutter von vier Kindern lässt sich bei ihren Kreationen auch vom Nachwuchs inspirieren. Sie kombiniert ökologische Ansprüche mit modernem Design.
Sie sind Mutter von drei Söhnen und einer Tochter. Inspirieren die Kinder Sie bei der Arbeit?
Sophia Slingerland: Absolut, meine Kinder haben mich immer sowohl für meine Möbel als auch meine Architektur inspiriert. Gerade habe ich eine Kindermöbel-Serie entworfen, Möbel für Kleinkinder im Kindergarten-Alter. Das sind Stühle und Tische, die mit den Kindern „mitwachsen“.
Sie wollten Opernsängerin werden…
Sophia Slingerland: Das ist lange her. Ich liebe klassische Musik und Opern. Und ich singe gerne. Operndiven waren ja damals oft sehr matronenhaft, deshalb sagten meine Eltern immer, ich solle mehr essen. Ich legte meinen Traum dann ad acta, da ich als kleines Mädchen wie ein Pieps gegessen habe. Heute weiß ich, dass das Stimmvolumen aus dem Kopf und nicht aus der Körperfülle kommt.
Wie kamen Sie zur Architektur?
Sophia Slingerland: Das Mosaik im Eingang des Markusdoms in Venedig faszinierte mich, ich blieb regelrecht daran kleben. Da war ich erst acht Jahre alt.
Der Markusdom in Venedig brachte mich zur Innenarchitektur.
Und wie kamen Sie schließlich zur Innenarchitektur?
Sophia Slingerland: Seit meiner Faszination für venezianische Wandgestaltung wollte ich Innenarchitektur studieren. Schöne Farben und Formen sowie Dekoration begeisterten mich. Aber mein Vater , ein Schiffsbauarchitekt, fand, dass ich auch die Häuser bauen sollte, in denen ich mich kreativ austoben wollte. Also habe ich zunächst Architektur an der Technischen Universität in Kaiserslautern studiert.
Das war vermutlich erst einmal weniger kreativ, sondern hatte mehr mit Zahlen zu tun?
Sophia Slingerland: Ja, bis zum Vordiplom teilte ich die Vorlesungssäle mit den Bauingenieuren. Ich musste Statik pauken, das war für mich ziemlich schweißtreibend. Aber ich habe es durchgezogen. In Paris sammelte ich dann erste praktische Erfahrungen, bevor ich weiterstudierte.

Die Baubranche ist männlich dominiert. Hatten Sie mit Vorurteilen zu kämpfen?
Sophia Slingerland: Viele Handwerker nehmen einen für nicht ganz voll. Aber ich bin starrsinnig und dickköpfig genug und konnte mich sehr gut durchsetzen. Ich gebe nicht so schnell auf, das muss meine norddeutsche Ader sein.
Schließlich fanden Sie zu Ihrer alten Leidenschaft zurück, dem Interior Design.
Sophia Slingerland: Mir wurde der Stress auf Baustellen irgendwann einfach zu viel. Und ich stand kurz vor einem Burnout, deshalb nahm ich mir eine Auszeit. Aber Lesen und Faulenzen brachten mir nicht die nötige Ruhe. Zu Hause fühlte ich mich wie ein Tiger im Käfig. Und am Ende fand ich mich mit einem Papierblock und einem Bleistift in der Hand und kritzelte vor mich hin. Aus diesen Entwürfen entstanden schließlich die ersten Möbel.
Ich finde es praktisch, wenn Räumlichkeiten und Möbel flexibel wandelbar sind.
Welches waren Ihre ersten Möbelstücke?
Sophia Slingerland: Der „Cubus“, also sechs ineinander verschachtelte Tische, gehört zu meinen frühesten Ideen. Genau wie „Sitting Cow“ und „Chicago“, der kleine Tisch aus Multiplexholz mit verschiedenen Metallbrettern.
Haben Sie beim Entwerfen der Möbel bereits potenzielle Käufer vor Augen?
Sophia Slingerland: Nein. Ich habe selber gerne Menschen um mich herum. Ich lade zum Beispiel gerne Freunde spontan zum Abendessen ein. Entsprechend praktisch finde ich es, wenn Räumlichkeiten und Möbel flexibel wandelbar sind. So ist zum Beispiel auch das Sofa-Modell „Lounge“ mit den ausziehbaren Fußhockern entstanden, das in eine Lounge mit mehr Sitzfläche umgewandelt werden kann.
Möbel müssen nicht nur hübsch aussehen, sondern auch im Alltag funktionieren. Was ist wichtiger, Design oder Funktionalität?
Sophia Slingerland: Ich versuche stets, ein gesundes Mittelmaß zu finden. Ein Möbelstück muss ästhetischen Ansprüchen gerecht werden, aber eben auch praktisch und bequem sein. Die Stühle „Das Haus vom Nicolaus“ sehen auf den ersten Blick entsetzlich unbequem aus, sind aber überraschend komfortabel, weil die Rückenlehne leicht federt, wenn man sich nach hinten lehnt. Und auf die Sitzfläche kann man zum Beispiel ein Fell legen, um es sich noch kuscheliger zu machen.
Nach dem Studium kamen Sie bei einer Weiterbildung in Österreich mit Passivhäusern in Berührung.
Sophia Slingerland: Energieeffizientes und ökologisches Bauen interessierte mich und ich war darum bemüht, diese Bauweise meinen Klienten schmackhaft zu machen. In China baue ich jetzt sogar eine Fabrik im Passivhaus-Standard. Es wird nicht zu 100 % klappen, weil die Fabrik zu viel Energie verbraucht und durch die Maschinen zu viel Wärme produziert. Aber viele unserer ökologischen Ideen konnten wir umsetzen.
In Shanghai haben Sie einen Kindergarten und eine Grundschule im Passivhaus-Standard gebaut. Haben Sie in China auch schon Privathäuser entwickelt?
Sophia Slingerland: Bislang nicht. Aber ich bin mit einer Familie in Verhandlungen für ein Passivhaus. In Europa habe ich aber schon mehrere Einfamilienhäuser gebaut.
Werden Passivhäuser hierzulande eher angenommen?
Sophia Slingerland: Hierzulande ist es deutlich einfacher, weil der Architektur-Standard ohnehin sehr hoch ist. Die Diskrepanz ist also geringer und auch der Preis wird nicht als deutlich höher angesehen. In Ländern wie China werden die Bauarbeiter häufig vom Land hergeholt, sie sind weniger gut ausgebildet. Der Standard lässt deshalb teilweise zu wünschen übrig. Und China ist ja nur ein Beispiel.
Was hat Sie von Passivhäusern überzeugt?
Sophia Slingerland: Damit lassen sich Ressourcen schonen und Energie sparen, was wiederum zur Reduzierung der CO2-Emmissionen beiträgt. Wenn man bedenkt, dass knapp die Hälfte unserer CO2-Emmissionen auf unsere Häuser und den Warmwasser-Verbrauch zurückgehen, ist das schockierend – und muss geändert werden. Schließlich haben wir die Instrumente dazu in der Hand.
Ich setze auf natürliche Materialien und lasse diese nicht auf Kosten der Umwelt unendlich weiterverarbeiten.
Nachhaltigkeit ist Ihnen sehr wichtig. Wie äußert sich das in Ihren Produkten?
Sophia Slingerland: Wegen meiner Kinder frage ich mich oft, in welchem Zustand wir die Erde der nachfolgenden Generation hinterlassen. Mir wurde bewusst, dass wir unserer Welt zu viel antun und immer zuerst an uns, statt an die Konsequenzen denken. Deshalb setze ich in erster Linie auf natürliche Materialien und lasse diese nicht auf Kosten der Umwelt unendlich weiterverarbeiten. Außerdem bin ich sehr darum bemüht, regional herzustellen. Ich lasse also nicht in China, Vietnam oder Thailand produzieren und die Möbelstücke dann um die ganze Welt verschiffen. Die Verkehrswege werden möglichst kurz gehalten. Die Möbel für Europa werden in kleinen Werkstätten in der Schweiz gefertigt, für den chinesischen Markt wiederum vor Ort in China.
Viele Menschen denken bei Nachhaltigkeit an „Öko“. Wie passen Design und Nachhaltigkeit zusammen?
Sophia Slingerland: Nachhaltigkeit ist natürlich biologisch und ökologisch, kann aber dennoch schön aussehen. Meine Holztische zum Beispiel sind mit einem natürlichen Lack auf Wasserbasis oder Bienenwachs versehen. Ich verzichte auf chemische Stoffe. Und das schmeichelt letztendlich auch dem Holz.
Sie kamen sehr viel herum, pendeln heute zwischen Genf und Shanghai. Welchen Einfluss hat das auf ihre Arbeit?
Sophia Slingerland: Ich bin ein sehr offener, flexibler und anpassungsfähiger Mensch – ohne dabei meine Wurzeln aufzugeben. Neue Kulturen schocken mich nicht, ich finde sie bereichernd. Und neue Eindrücke stimulieren mich, regen meine Kreativität an. Ich würde mich als Nomadin im positiven Sinn bezeichnen.
Hygge eroberte von Dänemark aus die Welt. Was kommt danach?
Sophia Slingerland: Retro ist gerade sehr angesagt. Und Metall-Elemente sieht man wieder häufiger, Details aus Messing oder Kupfer. Metall in Silber oder Chrom hingegen ist nicht mehr ganz zeitgemäß, das war typisch für die Achtziger. Gegenüber Trends bin ich resistent. Ich beobachte mein Umfeld sehr genau, davon lasse ich mich für eigene neue Ideen inspirieren. Man sollte seinem Instinkt und eigenen Geschmack folgen, egal ob andere das gerade auch tun oder haben. Denn letztendlich geht es geht um das eigene Wohlbefinden.
Haben Sie Tipps, wie man sein Zuhause mit einfachen Mitteln gemütlicher gestalten kann?
Sophia Slingerland: Ich finde es immer toll, Wände mit Farben zu streichen – dabei muss ja nicht gleich jede Wand bunt bemalt werden. Das können je nach Raum und Lichtverhältnissen dezente Farben wie Anthrazit sein, aber auch ein Goldton oder ein kräftiges Grün sorgen für ein besonderes Wohlfühlambiente. Auch Kissen kann man nie genug haben! Auf einem schlichten Sofa machen sich hübsche Kissen aus unterschiedlichen Materialien sehr gut. Auch Decken und Kerzen sorgen für ein gemütliches Ambiente. Und: Ich selber kaufe mir einmal pro Woche frische Blumen. Dadurch holt man sich eine neue Welt ins Haus. Und Kunst ist mir ebenfalls wichtig. Das können Gemälde, Skulpturen oder Fotografien sein.