
Im fröhlichen Mischmasch verschönern die Vintage- und Shabby-Chic-Fans Haus und Garten mit alten Dingen. Wenn diese noch einen praktischen Zweck erfüllen – umso besser.

Es fing als Gegenbewegung an, als Protest und gewollte Provokation. Um sich vom höheren, gut situierten Bürgertum abzuheben, das seine Wohnungen edel und teuer im viktorianischen Stil ausstattete, kamen ein paar Briten in den 1980ern auf die Idee, stattdessen „aus der Not eine Tugend zu machen”. Sie besorgten sich ihre Einrichtungsgegenstände auf Flohmärkten. So entstand der Shabby Chic. Hierzulande wird das „shabby” oft und nicht ganz treffend mit „schäbig” übersetzt – „abgetragen” wäre passender, „unansehnlich”: die Möbel, Stoffe, Haushaltsgegenstände zeichnen sich durch Macken und alle möglichen anderen Spuren der Abnutzung aus, und je mitgenommener sie aussehen, desto begehrter sind sie.

Entschieden anarchisch
Shabby Chic wird von Fachleuten zwar als Unterabteilung des Vintage-Stils gesehen, ist aber anders als dieser entschieden anarchisch, dem Punk verwandt. Man mischt nach Gusto die Epochen. Für einige darf es sogar Neuware sein: Anbieter und Käufer helfen beim Altern gerne nach, mit mehr oder weniger rabiaten Methoden, über die sie sich untereinander austauschen, über die sie sich in den einschlägigen Ratgebern informieren. Und hier scheiden sich dann doch die Geister. Patina direkt vom Hersteller? Das geht gar nicht, finden immer noch viele Liebhaber alter Dinge. Neu kombiniert und zweckentfremdet werden darf natürlich, in guter Tradition. Denn wer sich etwa einmal mit alten Bauernhäusern beschäftigt hat, der kann vor dem Improvisationstalent unserer Altvorderen nur den Hut ziehen. Meist der Not geschuldet, war es lange üblich und geboten, nichts wegzuwerfen, was sich noch in irgendeiner Weise nutzen, wieder anderswo einbauen, anderweitig verwenden ließ.

Nachhaltigkeit
Da kann man sich eine Scheibe von abschneiden, dachten sich auch Architekt Jochen R. Kreuter aus Bremen und das Ehepaar vom Niederrhein, für das er ein Haus mit antikem Charme planen sollte. Für die Decken suchte er alte, gut getrocknete Balken, fand sie beim Fachhändler für historische Baustoffe und nahm zwei Kanthölzer mit zum Bauherrengespräch. Die Auftraggeber waren dann von Qualität und Anmutung der antiken Eiche derart begeistert, dass heute Deckenverschalung, Außenfachwerk, Wandverkleidungen, Dielen, Türen, Fenster, Tür- und Fensterlaibungen und vieles mehr im Gebäude aus diesem Material bestehen – Upcycling, wie es im Buche steht, praktizierte Nachhaltigkeit. Fachhändler Thomas Knapp, zugleich Vorsitzender des UHB, des Unternehmerverbandes Historische Baustoffe e.V. (siehe Kasten), sowie seine Verbandskollegen liefern alles, was aus rückgebauten oder sanierten historischen Häusern, Villen und deren Gärten gerettet werden kann, Kleinteiliges und Großes, Mauerziegel, Dachziegel, schmiedeeiserne Treppengeländer, Badewannen, Waschbecken, Beschläge, Portale, Brunneneinfassungen. Zur Nutzung im ursprünglichen Sinne oder zur Umnutzung.

Alle Möglichkeiten
Das Angebot ist so vielfältig, dass man die ganze Bandbreite an Geschmäckern bedienen kann, von gediegen bis zum fröhlichen Durcheinander der Epochen. Gediegen, das heißt edel und stilecht, konsequent im Stil einer Zeit. Und auf der anderen Seite des Spektrums der bunte Mix aus diesem und jenem, Hauptsache, es ist vom Alter gezeichnet, erzählt eine Geschichte. Mitten drin sitzt der Fan des Shabby Chics und fühlt sich provozierend wohl.
Tipps für weitere Infos:
Will man nicht lange auf Flohmärkten oder im Internet stöbern, ist der Fachhändler für historische Baustoffe die richtige Anlaufstelle. Adressen in der Nähe findet man über den UHB, den Unternehmerverband Historische Baustoffe e.V. (Unternehmerverband Historische Baustoffe e.V., Dreihäusle 3, 78112 St. Georgen, Tel. 0 77 24/35 89, Internet: www.historische-baustoffe.de).
Fachliteratur zum Thema bringt der Verlag Edition: anderweit im niedersächsischen Suderburg heraus (www.dorfcafe-hoesseringen.de/anderweit). Zum Beispiel das „Bauhistorische Lexikon”, das sich mit seinen über 3.800 Stichwörtern an Fachleute wie Architekten, Denkmalpfleger und Restaurateure und Bauforscher ebenso wendet wie an Laien. Oder den Band „Türen, Schlösser und Beschläge als historisches Baumaterial”: Mila Schrader und Julia Voigt, Bauhistorisches Lexikon – Baustoffe, Bauweisen, Architekturdetails, Verlag Edition: anderweit, 2003, 336 S., 700 Abb., ISBN 3-931824-29-2; € 29,-
Florian Langenbeck und Mila Schrader, Türen, Schlösser und Beschläge als historisches Baumaterial – Ein Materialleitfaden und Ratgeber, Verlag Edition: anderweit, 2002, 256 S., ISBN 3-931824-30-6; €24, –