
Auf zwei Kontinenten zu Hause, mit einem puristisch-modernen Landhaus in den USA, hat sich das Bauherrenpaar diese ehemalige Schuldirektoren-Villa als heimeliges, traditionelles Kontrastprogramm geschaffen.
Kann sein, dass noch jemand „Halt, stopp!” geschrieen hat, aber da war es schon zu spät. Das Waschbecken flog im hohen Bogen aus dem Fenster, landete klirrend im Container. Vor der anstehenden Entkernung hatte die Bauherrin und Auftraggeberin etliche interessante, rettungswürdige Objekte entdeckt, das Entrümpelungsteam war informiert worden, doch sie und der Architekt, Dipl.-Ing. Andreas Graziadei, hatten die Rechnung ohne den Arbeitseifer der Männer gemacht. In der Hitze des Gefechts beförderte einer von ihnen das gute Stück altehrwürdiger Sanitärkeramik auf dem kürzesten Weg nach draußen. Der Projektleiter ging diplomatisch vor: „Ich verdonnerte den Betreffenden dazu, sich mit einem Blumenstrauß bei der Bauherrin zu entschuldigen.”

Wärmedämm-Verbundsystem, die Dächer eine Aufsparrendämmung aus Hartschaum. Foto: Günter F. Kobiela
Mutwillige Zweckentfremdung
Ein Verlust, der zu verschmerzen war, denn gerettet werden konnte letztlich so einiges. Mitten im Blumenbeet, am Rande eines der gepflasterten Wege längs des Hauses, steht heute Gudrun. Gudrun, einst Waschmaschine, muss im jungen 20. Jahrhundert einmal der letzte Schrei und Statussymbol eines reichen Bürgertums gewesen sein, dient jetzt als Gartenbeleuchtung, Steampunk der reinsten Sorte. „Viele Gegenstände, die wir drinnen gefunden haben, haben wir in irgendeiner Weise wieder zu integrieren versucht.

Steinmetz nach Entwürfen des Architekten angefertigt. Foto: Günter F. Kobiela
Elektroisolatoren an Außenwänden wurden als Aufhänger am Pool angebracht, alte Lampen vom Dachboden wurden geputzt, repariert und wieder aufgehängt. Fenstergriffe wurden als Türgriffe für Schiebetüren genutzt.” Gerettet, bewahrt wurde auch und in erster Linie der Charakter des Gebäudes in Schwäbisch Hall, errichtet 1934, ursprünglich Wohnhaus des Direktors der Landwirtschaftsschule gleich nebenan. Sowie sanft in Richtung eines zeitgemäßen Landhausstils bugsiert, mit Sprossenfenstern, breiter als zuvor – die meisten bodentief, alle mit Klappläden. Das Walmdach erhielt neue, um den Faktor Zehn größere Gauben. „Zählt zwar nicht als Vollgeschoss, ist aber im Grunde eines … “, meint der Projektleiter zur hinzugewonnenen Kopffreiheit unterm First. Insgesamt sind die Veränderungen innen entschiedener ausgefallen. So wurden im Erdgeschoss aus acht kleineren und größeren Räumen drei, darunter der Wohn- Ess-Koch-Bereich, nach Süden zur Terrasse ausgerichtet. Zum originalen Bestand indessen gehört erkennbar die Treppe. Wo immer möglich, lässt Graziadei in Altbauten die Treppenanlage unangetastet. Sie sei das Herz eines Hauses, größere Eingriffe seien also „Operationen am offenen Herzen”, zögen Umgestaltungen im ganzen übrigen Gefüge nach sich.

Neuzugang
Wo sie erforderlich sind, hat er indes gegen radikale Schnitte nichts einzuwenden. Recht betrachtet gäbe es die Immobilie ohne einen solchen Schnitt nicht. Landwirtschaftsschule wie ehemalige Direktoren-Villa, die zuletzt Kindergarten gewesen war, wollte die Kommune als eine Liegenschaft verkaufen, fand allerdings keinen Abnehmer, trotz der wirklich erstklassigen Lage, leicht erhöht, mit Sicht auf den Stadtkern: „Die Innenstadt ist fußläufig in circa acht Minuten erreichbar, und es ist trotzdem herrlich ruhig …”, stellt Dipl.-Ing. und Immobilien-Kauffrau Meike Graziadei fest. Als die Versteigerung einfach nicht in Gang kommen wollte, wurde die Teilung als Option in Aussicht gestellt, hier die Schule, da die Villa. Ihr Mann, der im Auftrag der heutigen Eigentümer schon länger etwas Passendes gesucht hatte, sah die Gelegenheit und informierte sie umgehend. Die beiden, gebürtige „Haller”, hielten sich zu der Zeit gerade in den USA auf, in Charleston, South Carolina, ihrem zweiten Lebensmittelpunkt; die Bauherrin bot von jenseits des Großen Wassers mit und erhielt den Zuschlag. Graziadei, den sie über ihren Bruder kennengelernt hatten, bekam den Auftrag zur Umbauplanung. Er erreichte in Verhandlungen mit der Behörde eine Verlegung des Zugangs an die Westseite, anstatt von Süden, vom Hang her, wie in der Straße sonst der Fall. Die glücklichen Bewohner: „Eine Garageneinfahrt auf der Hangseite hätte uns viel von unserem Garten gekostet.” So konnte hinterm Bestand, auf der Nordseite, zusätzlich noch ein kleiner Neubau entstehen, unten Doppelgarage, darüber anderthalb Wohngeschosse, in denen eine Nichte der Bauherrin lebt.

Lehrerin im Schwarzwald. Foto: Günter F. Kobiela
Terrassenlandschaft
Anders als das Haus wurde der Garten regelrecht umgekrempelt. Nach Auszug der letzten Nutzer märchenhaft verwildert, ließ die Bauherrschaft das gleichmäßig abfallende Gelände in eine Terrassenlandschaft mit Rasen, Mauern aus heimischem Muschelkalk und kleinem Pool verwandeln, mehrere Lastwagenladungen voll Erde wurden nach dem Roden abtransportiert.

Die vor Ort ansässige Gartenbaufirma Artterra kann die Bauherrin nicht genug loben, wie die beiden Handwerksbetriebe aus dem Umland, die das Haus innen und außen maßgeblich geprägt haben: die Schreinerei Stang mit den Wandvertäfelungen, Einbauschränken, Parkettböden und überhaupt beinahe allem, was aus Holz ist, der Malereibetrieb Deininger mit den Maler-, Putz- und Stuckarbeiten. Solche guten Leute sind nicht sehr dicht gesät, betont Andreas Graziadei, und er möchte sich nicht ausmalen, was er ohne Könner wie sie tun würde.

Hüben und drüben
Bauherrin und Bauherr, gerade wieder auf dem Sprung in die USA, müssen sich neben dem Jetlag auf eine noch ganz andere Umstellung gefasst machen. Ihr Haus in Charleston ist innen nüchternste Moderne, der denkbar größte Gegensatz zu Schwäbisch Hall, wo sie die andere Hälfte des Jahres verbringen. Dieser Designlag (wenn es so etwas gibt) wartet dann erneut bei der Rückkehr ins Ländle. Aber das Wechselbad ist gewollt, Haus und Garten im Schwäbischen sollten der Kontrast sein, zur Bühne für Altes, Ausrangiertes werden. Auf der Terrasse fällt eine Truhe ins Auge, deren Deckel und Seitenteile offenbar antike Türblätter sind. Genau genommen dienen sie einer Rolltruhe aus Kunststoff als Verkleidung. Die schöne Schale wurde „… liebevoll von unserem Schreiner angefertigt, aus Türen der Zeit um die Jahrhundertwende.” Wegwerfen ist oft nur die zweitbeste Lösung.

Umbau-Daten:
Baujahr Altbau: 1934
Umbauphase: Dezember 2009 – November 2010
Grundstück: ca. 1.460 m2
Bauweise Bestand: massiv
Baustoffe Bestand, konstruktiv: Beton (UG), Hochlochziegel, Vollziegel, KV-Holz
Bauweise Umbau und Anbau: massiv
Baustoffe Umbau, konstruktiv: Hochlochziegel, Porenbeton
Dach: Walmdach
Dämmung: Wärmedämm-Verbundsystem (12 cm Hartschaum)
Fassade: Putz
U-Werte der Außenwände vorher: ca. 1,5 W/m2K
U-Werte der Außenwände nachher: 0,24 W/m2K
Baustoffe Ausbau: Holz, Massivholzparkett Eiche (Wohnbereiche),Feinsteinzeug (Bäder)
Heizung und Haustechnik: Gas-Brennwertkessel, Fußbodenheizung, Kamin, Wasseraufbereitungsanlage (Enthärtung), LAN
Wohnfläche vorher: ca. 160 m2
Wohnfläche nachher: ca. 350 m2 (inkl. Anbau)
Umbaukosten (mit Außenanlagen): ca. 850.000 Euro
Architekten: Dipl.-Ing. (FH) Andreas Graziadei, Dipl.-Ing. (FH) Meike Graziadei